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Schweigepflicht
Canterbury, 16.Oktober 1948

Es war einer dieser Abende, die die Fähigkeit besitzen mich in den Wahnsinn zu treiben, wobei ich hier bemerken möchte, daß ich ein durchaus vernünftiger und vorsichtiger Mensch bin und mich nur selten zu irrationalem Verhalten provozieren lasse. Doch diese Nacht vor Allerheiligen sollte sich zu einer ganz besonderen Nacht entpuppen und mich an einer bis dato noch unbekannten, grauenvollen Erfahrung teilhaben lassen, auf die wohl manche Menschen lieber verzichten würden, denn sie ist so abgrundtief erschreckend, daß es mir noch heute, wenn ich nur daran denke, eiskalt den Rücken herunter läuft. Aus diesem Grund bringe ich die furchtbare Geschichte nun endlich zu Papier und hoffe damit auf eine baldige Genesung meiner völlig erkrankten Sinne. Sie müssen wissen, daß ich schon seit sehr langer Zeit ein schreckliches Geheimnis mit mir herumtrage, dessen ich jedoch mittlerweile leid bin und Ihnen jetzt erzählen möchte, denn es martert mir mein Gehirn.

Es war acht Uhr abends, und ich war gerade im Begriff dabei zu einer meiner bevorzugten Gaststätten aufzubrechen, wo ich jede Nacht ein oder zwei Gläschen Rotwein zu mir nahm. Der herb-trockene Geschmack eines Bordeaux hatte es mir angetan und trieb mich regelmäßig, selbst bei ärgsten Witterungsverhältnissen dazu, den langen steinigen Weg zum "Geschlachteten Lamm" auf mich zu nehmen. Der wolkenlose Himmel versprach eine kalte Nacht zu geben und so zog ich mir noch meinen warmen schwarzen Mantel an, der mich schon vor so mancher unangenehmen Erkältung gerettet hatte. Ich verschloß hinter mir die Tür und prüfte auch ob das Gartentor verriegelt war, wobei ich einen dringenden Bedarf an "Ölung" feststellte, denn es gab einen fürchterlich quietschenden Ton von sich. Ich stopfte mir noch eine Pfeife für den Weg und genoß die schöne Vollmondnacht. Auf halber Strecke hörte ich die Glocken des alten Kirchturms am East-River klingen. Ich nutzte die Gelegenheit und griff nach meiner Taschenuhr, welche ich aufzog und nach der genauen Uhrzeit einstellte.

Dabei bemerkte ich ein kleines Loch in meiner rechten Westentasche und zu meiner Ärgernis mußte ich feststellen, daß meine Haustürschlüssel nicht mehr darin waren. Das Loch war zu klein für meine Taschenuhr, doch ein Schlüssel konnte leicht hindurchrutschen. Ich beschloß kurzer Hand meinen bisher zurückgelegten Weg nach ihm abzusuchen.

Die geplante Suche nahm jedoch ein abruptes Ende. Als ich mich umdrehte bemerkte ich eine dunkle Gestalt auf dem Kiesweg, welche plötzlich stehen blieb als ich sie ansah. Sie war von etwa 2 m Größe, soweit ich das von meiner Entfernung aus einschätzen konnte und völlig in schwarz gehüllt. Das helle Licht des Vollmonds ermöglichte einem eine relativ gute Sicht und bei näherem Hinsehen erkannte ich, daß die Gestalt eine Art Robe trug, deren Kapuze sich weit in die Stirn erstreckte. Von seinem Gesicht sah man nur die blutrot blitzenden Augen, die wie Rubine mir böse entgegen funkelten. Sein Antlitz ließ mich erschauern und ich wollte nur noch auf dem schnellsten Wege zur Schenke gelangen, welche nun nicht mehr all zu weit entfernt war.

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Der verlorene Schlüssel erschien mir plötzlich nicht mehr so wichtig und ich ging schnelleren Schrittes voran. Nicht daß ich ein Angsthase wäre, aber in diesem Fall zog ich die Flucht vor, denn die Gestalt jagte mir eine ungeheuerliche Angst ein. Lieber einmal feige als sein Leben lang tot, dachte ich mir und nahm meine Beine in die Hand.

In gewissen Abständen blickte ich immer wieder zurück um zu sehen ob mein Verfolger sich noch immer hinter mir befand und zu meinem Leidwesen stellte ich fest : Er war noch da! Nicht genug damit, daß ich ihn nicht abschütteln konnte - Nein - er nahm auch noch Schritt auf und mit jedem weiteren Schritt den ich tat spürte ich ihn näher kommen. Ich begann zu laufen und merkte wie mir das Adrenalin in die Adern schoß. Ich hätte niemals gedacht welche Energien dieser Stoff im Körper freisetzen kann. Ich rannte wie der Teufel und hatte den selbigen im Nacken. Eigenartig - aber ich hörte ihn nicht laufen, dennoch spürte ich seine Präsenz unmittelbar hinter mir, als wenn er mit seinem faulen und nach Verwesung riechenden Atem mir direkt ins Genick hauchen würde. Die Schenke war jetzt schon in sichtbarer Nähe.

Das mit zwei Laternen ausgeleuchtete Gaststättenschild "Zum Geschlachteten Lamm" schwenkte stürmisch umher. Eine der beiden Petroleumlampen, welche links und rechts des Schildes angebracht waren zerschlug in tausend Stücke an der Hauswand als ich ankam. Jetzt konnte man nur noch die Worte "Zum Geschlachteten" erkennen, was auf meine momentane Gemütslage nicht gerade beruhigend wirkte. In panischer Angst erreichte ich die rettende Tür, ließ sie hinter mir in die Angeln knallen und fiel schweißgebadet in die Stube.

"Kannst es wohl nicht erwarten deinen Wein zu bekommen, Kinnley?" - meinte Scott, der Wirt der Schenke mit einem idiotischen Grinsen auf dem Gesicht. Seine Worte gefolgt durch ein schallendes Gelächter der Gäste kümmerten mich wenig. Mir war weder zum Lachen zumute, noch hatte ich jetzt Lust auf Wein. Mir war eher nach einem doppelten Whiskey.

Scott Mac Farin war ein gut beleibter geselliger Kerl aus dem Norden Schottlands. Auf die Frage hin was den mit mir los sei, antwortete ich bloß ich wäre krank.. Er hätte mir meine Geschichte sowieso nicht abgenommen und ein zweites Lokalgelächter wollte ich mir ersparen.

Da saß ich nun an der Bar, und mein Blick schweifte immer unweigerlich zum Fenster. War dieses Kreatur noch da draußen? Würde es warten bis ich heraus käme und dann wie ein wildes Tier über mich herfallen, oder handelte es sich bloß um einen dummen Streich? Ich war verzweifelt. Was konnte ich tun? Verdammt! Reichte denn für heute nicht, dass ich schon meinen Haustürschlüssel verloren hatte. Dies hatte ich vor lauter Panik um mein geliebtes Leben schon wieder vergessen.

Um meiner Sinne wieder Herr zu werden und mich zu beruhigen zündete ich mir eine Pfeife an. Der Geschmack meines Tabaks brachte mich gleich auf andere Gedanken und so dachte ich schon nach kurzer Zeit nicht mehr daran. Ich unterhielt mich mit Scott über dieses und jenes, fragte ihn nach dem Wohlbefinden seiner schwangeren Frau und trank mit ihm auf seine baldige Vaterschaft.

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SchweigepflichtSo verstrichen die Stunden und die letzten Bestellungen gingen über den Tresen, bis am Ende nur noch ich vor meinem leeren Glas saß. Scott war gerade dabei die Bar fertig zu machen, die Gläser zu polieren und die Theke abzuwischen, als es mir wieder die blanke Furcht in die Glieder trieb. Ich bin wirklich nicht ängstlich, doch ich war froh als mich Scott fragte, ob ich ihn nicht ein Stückchen nach Hause begleiten wolle, da sein Haus eh auf meinem Rückweg lag.

Er verschloß noch die Tür, ärgerte sich über das durch den Sturm demolierte Gaststättenschild und machte sich mit mir auf den Rückweg.

Das Unwetter hatte nicht nachgelassen. Im Gegenteil, es war wohl gerade dabei seinen Höhepunkt zu erreichen. Die stetig niederschlagenden Blitze und das donnernde Getöse des Windes schienen den Weltuntergang herbei zu beschwören. Es erweckte den Anschein als hätten sich alle Götter gegen uns gerichtet, denn das Unwetter bereitete Scott und mir große Mühe überhaupt vorwärts zu kommen.

Nach einer Weile kamen wir an die Stelle, wo ich zuletzt auf dem Hinweg die Abwesenheit meiner Schlüssel bemerkt hatte. Mich beschlich ein immer unangenehmer werdendes Gefühl und es kam mir so vor, als konzentrierten sich die tief schwarzen Wolken - die sich unmittelbar über mir zusammenbrauten - darauf, einen Blitz direkt auf meinen Kopf herab donnern zu lassen. Entgegen Scotts schottischer Schimpftiraden über das miese Wetter, stellte ich nur meinen Mantelkragen auf, zog den Hut etwas tiefer und ging zügigeren Schrittes voran. Der peitschende Regen und der tosende Wind der uns entgegen blies, bereitete Scott und mir erhebliche Mühen vorwärts zu kommen und so kam mir der Heimweg wie eine Ewigkeit vor.

Plötzlich erstarrte ich vor Entsetzen. Ich spürte wieder den nach Tod und Verwesung riechenden Atem jener Kreatur in meinem Nacken, die mich diese Nacht wie einen schrecklichen Alptraum erleben ließ. Ich drehte mich um, doch da war niemand. Moment mal - wo war eigentlich Scott? Jetzt erst fiel mir auf, daß mein schottischer Freund nicht mehr bei mir war. Er konnte doch nicht einfach so verschwinden. Nein! Scott mußte etwas passiert sein. Ich begann alles nach ihm abzusuchen. Zuhause konnte er schon unmöglich sein, da sein Wohnsitz noch ein paar hundert Meter vor uns lag. Die ständig niederschlagenden Blitze verboten meinen Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und so fiel es mir schwer ihn zu finden.

Auf einmal hörte ich ein entsetzliches Schreien. Es klang als würde eine Schwein geschlachtet werden, doch ich war mir sicher, daß die Laute von einem Menschen stammten. Ich eilte sofort zu der Stelle, wo ich die Herkunft der Schreie vermutete und fand einen Ort des Schreckens auf. Bei Anblick dieses grauenvollen Bildes erstarrte jede Fiber meines Körpers vor Entsetzen und ich wußte nicht mehr ob ich träume oder tatsächlich dieses unglaubliche Horrorszenario erlebe.

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Im Graben am Rande des Weges lag Scott - zumindest das was von ihm noch übrig war.

Es schien als wäre er geradezu wie ein Fisch ausgenommen und anschließend entgrätet worden. Die Arme und Beine waren aus seinem Körper regelrecht herausgerissen. Als wenn er einem wütendem Gorilla - dessen ungeheure Kräfte ja bekannt sind - zum Opfer gefallen wäre. Die genauen Details möchte ich Ihnen besser ersparen, denn sie sind ohnehin nicht zu beschreiben. Was mich verwunderte war, daß Scotts Kopf, ebenfalls vom Korpus getrennt, im Gegensatz zu seinen anderen Körperteilen nicht auffindbar war. Mich packte die kalte Angst und ergriff sofort die Flucht.

Ich rannte wie ein Besessener, übersprang Zäune, durchlief Kornfelder und durchquerte sogar den East-River um schließlich und endlich auf dem kürzesten Wege zu Hause anzugelangen. Da sah ich es - das rettende Haus - da spürte ich das sichere Heim - da wußte ich daß ich nicht hinein konnte, denn es fiel mir wieder ein, daß meine Schlüssel noch abhanden waren.

Zu meiner Verwunderung aber und zu meinem späteren Entsetzen, stand die Wohnungstür offen und der Schlüssel steckte außen. Mein Gott! Die Kreatur war in meinem Haus. Woher wußte sie nur wo ich wohne. Ich versuchte zu fliehen, doch da stand dieses Monster plötzlich direkt vor mir. Dieses mal sah ich genau in die abscheuliche Fratze und seine brennenden blutroten Augen fixierten mich, wie die Augen einer Raubkatze im Angesicht ihrer angehenden Beute.

Da hörte ich plötzlich sein dämonisches Gelächter und er begann zu mir zu sprechen:

"Heute ist eine schöne Nacht zu sterben!" meinte er zu mir mit einem dunklen Grollen und packte mich dabei mit seinen kräftigen, messerscharfen Krallen an den Schultern. Ich war starr vor Angst und flehte ihn an mich zu verschonen. Ich versprach ihm unter weinendem Flehen alles nur erdenkliche für ihn zu tun, nur wenn er mich nicht töte. Und es war nicht umsonst, denn er ging auf meine Bitte ein. "Hör mir jetzt gut zu Kinnley!, sagte er zu mir und sein Blick verfinsterte sich. Ich werde dich gehen lassen und dein jämmerliches Leben verschonen doch du mußt mir als eine Art Gegenleistung ein Versprechen geben, welches du auf gar keinen Fall brechen darfst. Erzähle niemals - seine Augen flackerten jetzt auf wie ein loderndes Feuer - erzähle niemals einer Menschenseele von mir, weder von meiner bloßen Existenz, noch von meinen Greueltaten hier. Falls du dennoch dein Versprechen jemals brechen solltest, so sei gewiß, werde ich zurückkommen und es wird dir das selbe Schicksal zuteil, wie deinem Freund aus der Schenke!" Seine linke Pratze griff jetzt hinter seinen Rücken, holte den abgerissenen Kopf Scotts hervor und hielt den blutüberströmten Schädel mir direkt vor das Gesicht. Ein Ausdruck von unglaublicher Angst zeichnete sich in Scotts Gesicht ab. Was mußte dieser arme Kerl nur durchgemacht haben. Dieser unerträgliche Anblick ließ mich sofort in das Angebot des Dämons einwilligen und ich versprach ihm diese grauenvolle Nacht aus meinem Gedächtnis zu radieren. Daraufhin verschwand er so schnell wie er auch erschienen war. Nur noch ein Hauch von Verwesung lag in der Luft. Sie können sich vorstellen wie ich aufatmete, endlich war ich frei. Frei von der erdrückenden Bedrängnis dieser Kreatur.

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SchweigepflichtSeit jener Nacht, die nun mittlerweile gute 20 Jahre her ist, habe ich über diese Sache Stillschweigen bewahrt. Ich weiß heute selber nicht einmal ob das ganze nur ein übler Traum wahr, oder tatsächlich passiert ist. Vielleicht hatte mir auch nur meine Fantasie einen bösen Streich gespielt, beflügelt genug war sie ja damals nach der halben Flasche Whiskey in der Schenke. Fest steht jedenfalls, daß mein Freund Scott seit jener Nacht bis zum heutigen Tage als vermisst gilt. Seine Leiche wurde nie gefunden, eigenartiger Weise auch keine Spuren von Blut. Die Polizei machte es sich leicht und erklärte Scotts Ehefrau, dass davon auszugehen sei, dass Mac Farrin auf Grund sehr hoher Pachtschulden, welche wohl auf seiner Kneipe lagen, das Land verlassen habe. Man redete sich auch ein, dass die Schwangerschaft seiner Gattin letztlich der Auslöser für sein plötzliches Verschwinden war.

Scotts Familie tat mir damals unendlich leid, zumal ich dass Gefühl nie los wurde Schuld an seinem Schicksal gewesen zu sein. Daher beschloß ich zu jener Zeit mich finanziell um seine Familie zu kümmern, was ich auch bis heute tat. Ich versuchte damit all die Jahre mein Gewissen rein zu waschen, was mir aber zu meinem Leidwesen nicht gelang.

Mittlerweile bin ich alt und müde geworden. Ich bin deshalb nun bereit einen Schlußstrich unter jene Nacht vor Allerheiligen zu ziehen und auch sehr froh darüber, daß ich mir diese Geschichte endlich von meiner erkrankten Seele schreiben konnte. Vielleicht kehre ich jetzt endlich wieder zu meiner ursprünglichen Ruhe zurück.

William Kinnley


London Times, 18.Oktober 1948
Police Department
76643 Westminster
Georgestreet 14


Am 16. Oktober wurde ca. um 10:00 Uhr aus dem East-River Canterburies eine Leiche gezogen. Hobbyangler John Woods, der den Toten am Haken hatte, erlitt dabei einen Schock und wurde in das St. Maries Hospital eingeliefert. Die Leiche war schwer verstümmelt worden. Die abgetrennten Arme und Beine des Opfers wurden kurze Zeit später von der örtlichen Wasserwacht heraufgetaucht, wobei der ebenso fehlende Kopf des Mannes nicht gefunden werden konnte. Die Leiche wurde als William Kinnley (72), einem alleinstehendem Bürokaufmann aus Norfolk identifiziert. Die Polizei nimmt an, daß es sich bei diesem Mord um ein weiteres Verbrechen des vor zwei Wochen entflohenen geisteskranken Brian Horn handelt, welcher kurze Zeit nach dem Massaker in der Nähe des Tatorts von einem Polizisten in Zivil aufgegriffen wurde.
In 3 Tagen beginnt die Exekution des in mehr als 7 Morden angeklagten Brian Horns. Wie es das Gesetz vorschreibt wird er den "Tod durch den Strang" erleiden.






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