Schulterlange braune Haare umrahmen das feine Gesicht. The World In My Eyes. Ich kann Ihre Augen nicht sehen. Sie wiegt sich im Rhythmus des Liedes. Kurze Elektronische Klänge vermischt mit dem Sound digitalisierter Geigen bewegen die Menschen um mich herum. Ich kann auch nicht anders als mich zu bewegen. Denn wer sich nicht bewegt
stirbt. Rennt! Rennt! Rennt als wär der Teufel hinter Euch her. Stellung! Der schwere Rucksack fällt auf mich und drückt mein Gesicht nur noch tiefer in den Dreck. Ich kann fast nichts sehen. Der Schweiß rinnt mir über die Stirn in die brennenden Augen. Das leise Surren läßt mich in Panik geraten. Als es endlich knallt, ist es wie eine Erlösung. Das abgetrennte Bein
einer Schaufensterpuppe, das im Schwarzlicht neonrot leuchtet dreht sich über mir. Neben dem pinken Bügeleisen steht ein altes halbiertes Surfbrett wie
ein einfacher runder Stein über dem Grab des Jungen und wird
im zur Musik passenden Rhythmus von den intensiven Halogenstrahlern beleuchtet. Ausgestattet mit hochpräzisen, schnellen Motoren und kleinen Spiegel senden Sie ihr Licht in wilden Bewegungsmustern in den ansonsten schwarz getünchten Raum. Schulterlange braune Haare. Die Tanzfläche leert sich, die Musik ist zu ungleichmäßig. Sie bleibt. Ich auch.
Hast du nicht gehört! Marsch, marsch den Hügel hoch! Pause machen gilt nicht. Wie in Trance setze ich einen Fuß vor den Anderen. Ich hole auf und sehe die Stiefel meines Vordermanns. Tritt. Tritt. Nein, nicht auf den Felsen, der ist zu glitschig. Weiter! Schneller! Nebelschwaden treiben unter uns.
Erzeugt vom Gebläse über der Tanzfläche und kontrolliert vom DJ hinter der Glasplatte. Der Rauch riecht seltsam süß. Ich möchte nicht wissen welche Chemikalien da wohl drin sind. How long have you been free? Frei? Ich weiß nicht! Bin ich frei?
Freimachen bitte. Die Stimme duldet keinen Widerspruch. Danke. Sie drückt mir das kalte Metall des Stethoskops auf die Brust. Einatmen! Bum-bum. Bum-bum. Bum.
Bum.
Er ist tot. Ist er frei? Ich muß weiter, sonst erwischt es mich auch. Dort ein Dreckhaufen. Bum-bum-
bum-bum. Der Baß aus den großen schwarzen Boxen, die in den Ecken von der Decke hängen, dröhnt und ich bemerke die Vibrationen in meiner Lunge. Die natürliche Schutzfunktion meiner Ohren haben sie längst vor den größten Schäden bewahrt, so daß mich die 120 beats per minute nur noch gedämpft erreichen. Trotzdem werden im Hörkanal wohl noch viele Häärchen
unter meinen Stiefeln abknicken. Aber Blumen richten sich wieder auf. Und wenn die Wurzeln nicht herausgezogen werden blühen sie im nächsten Jahr wieder. Es ist schön hier. Von der Hügelkuppe muß man eine phantastische Aussicht haben. Angespornt durch die freudige Vorstellung setze ich weiter vor und nähere
mich der unbekannten Schönheit. Meine Füße einen nach dem anderen im Rhythmus aufsetzend tanze ich in ihre Richtung. Ich höre kaum mehr die Musik so fasziniert bin ich von dieser leuchtenden Gestalt in der Finsternis des ehemaligen Kellers einer Fabrik. Ich werde geblendet, denn
die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich kann dunkle Schatten erkennen. Meine Kameraden, oder? Ich krieche weiter auf
sie zu. Gleich bin ich da. Ja! Sie sieht in meine Richtung und ich kann
die Augen erkennen. Unsere Blicke treffen sich. Nur die Augen. Der Rest verschwimmt im gleißenden Leuchten
des Stroboskoplichts. Sie hält meinen Blick länger als nötig. Bum-bum.
Bum.
Ich stolpere. Etwas Warmes breitet sich über meinen Bauch wie eine Decke. Ich bin auf dem Hügel und sinke zu Boden. Die Aussicht ist so wunderschön. Die Stimme sagt: Er ist tot. Sie duldet keinen Widerspruch. Mit meinen Augen kann ich meine Welt nicht mehr sehen. Es wird still, ich kann
die Musik kaum mehr hören. Die Luft ist angenehm und ein kühler Wind streicht über mein Gesicht und durch ihr Haar. Schulterlanges braunes Haar,
das ein feines Gesicht umrahmt.
In ihren Augen kann ich meine Welt sehen.
19. Juni 1999
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