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Tränen im Sand

 

Der grauberobte Mann flog, obwohl er keine Flügel hatte, im hohen Bogen von der Düne in den heißen Sand. Mühsam rappelte er sich auf und strauchelte weiter. Das faltige, ausgedörrte Gesicht ganz von der Kaputze der mehr als staubigen Kutte verborgen schlurfte der Fremde ausdruckslos einem unbekannten Ziel entgegen. An diesem mysteriösen Ort, auf keiner Karte verzeichnet und auch nicht auf reguläre Art und Weise zu erreichen, schien die Sonne niemals schlafen zu gehen. Mißmutig blinzelte der Mönchshafte gen Himmel. Aber zu diesem Zeitpunkt konnte er es nicht mit Himmelskörpern aufnehmen. Noch nicht! Müde und ausgezehrt setzte der Wandernde seinen Weg fort. Wieder und wieder riß es ihn aus der krustigen sandigen Realität in seine Erinnerungen: Das Letzte, was sich in seinen Gedanken verankert hatte, war der kupferne Geschmack von Blut - seinem eigenen Blut. Da war ein ultrahellblitzender, aggressiver Lichtschlag, der ihn durchfuhr und ihm die letzte Lust am Leben nahm. Ein kurzes intensives Aufflackern seiner Seele, dann ward es still um seinen toten Körper. Einige Gestalten bewegten sich hektisch um ihn herum. Sie schienen also noch zu kämpfen. Gut so! Niemals würden sich die Oberhäupter der Weißen Legion bezwingen lassen. 
Welche Narren konnten es überhaupt wagen, die echten Helden anzugreifen?

Welch eine vermessene Tat! Ob dieser düsteren Gedanken bildeten sich Tränen auf Selkais gepeinigtem Gesicht. Die salzige Flüssigkeit verschaffte kurzzeitige Linderung auf seiner ausgetrockneten, wunden Haut. Einige Flüssigkeit tropfte auf den knochentrockenen Wüstenboden und verdampfte fast augenblicklich.
Ja, der Albtaum seines eigenen Todes würde ihn nie verlassen. Niemals!
Niemals wieder ruhig schlafen, ständig die Gewißheit, daß es etwas Mächtiges gab, daß ihn bezwungen hatte, etwas Böses - und es ist der dunklen Seite so leicht gefallen. Selkai seuftze leise. Ja, eigentlich ist er ein dankbares Opfer gewesen. Irgendwann mußten sich die vielen taktischen Fehler, die die Gruppe gemacht hatte, niederschlagen. Aber das es ihn so hart treffen würde. Der Magier, der mittlerweile überhaupt  nicht mehr so jung aussah, wie er vor kurzem noch gewesen war, wischte sich mit den dreckigen Fingern seiner rechten Hand über die Wange. Seine Haut war hier so dünn und rauh wie Schmirgelpapier, es bildeten sich kleine Risse. Blut vermischte sich mit Dreck und Salzwasser. Es brannte.

In der toten Einöde, die der Mann durchschritt, gab es nichts außer Sand und Trockenheit - Sand und Trockenheit - Sand und Trockenheit. Wie um alles in der Welt sollte er hier finden, was er suchte? Das der Göttliche ihm keine leichte Aufgabe zuteil werden lassen würde, ist ihm von Anfang an klargewesen, aber das? Das hatte er nicht erwartet. Die Leuterung der Seele ist trotz der transparenten Leichtigkeiten selbiger ein schweres Unterfangen. Die Einsamkeit hatte langsam aber sicher eine zermürbende Wirkung. Selkai setzte trotzdem einen Fuß vor den anderen und Schritt weiter. Immer weiter. Erneut strichen Gedanken vorbei, Selkai hielt sich dankbar an ihnen fest:
Was seine Freunde jetzt wohl gerade machen würden. Ob sie es überhaupt heil aus dem Tempel des Elementaren Bösen herausgeschafft hatten? Und wenn ja, was ist dann mit seiner toten Hülle geschehen? Hatte er ein angemessenes Begräbnis oder ist sein Name so schnell in Vergessenheit geraten, wie die der zahllosen anderen Kriegsopfer, die die Orks, der Overking und vor allem Iuz schon forderten. So oder so, er hatte versagt. Wie immer hoch gepokert und diesmal verloren. Wie mußte der Sensenmann gelacht haben, als er Selkai auf seiner großen Liste fand! Selkai? Das ist doch einer von diesen sich ständig selbstüberschätzenden Magieridioten, wird er sich gedacht haben - So oder so ähnlich. Trotzig schnodderte Selkai in den Ärmel seiner zerschlissenen Robe. Allein sein Äußeres mußte mehr als schlimm sein. Wie ein zerfetzter Landstreicher wankte er herum. Spiegel gab es hier leider keine. Leider?
War wohl doch ganz gut so!
Mit einem Mal blieb der ehemalige Meistermagier stehen und lauschte angestrengt ins Nichts. War da nicht ein Geräusch? Doch, doch,  da war etwas! Und es wurde sehr schnell lauter. Reier kamen in wildem Tempo auf ihn zu. Er blickte sich um, aber seine Augen konnten die Ursache der Laute nicht ausmachen. Dann plötzlich sprengten die Geisterrösser über die leichten Sandhügel hinter ihm. Eine ganze Armee berittener Toter stob eilig an ihm vorbei. Die leicht bebende Kakophonie  von blanken Skeletthufen im Sand. Und es waren viele Reiter - ein ganzes gottverdammtes Heer. Die Streitmacht ritt mitten durch ihn hindurch. Selkai wußte nicht, ob sie ihn absichtlich ignorierten oder seiner wirklich nicht gewahr waren. Krieger um Krieger zogen sie vorbei, die gesamte verdammte Truppe. Irgendwie erkannte er die Soldaten. Nicht alle, aber hier und da mal ein halbzerschmetterter Zombieschädel, den er schon mal gesehen hatte, von Zeit zu Zeit ein völlig verbrannter Körper, den er anderenorts bereits erblickte hatte. Und ganz plötzlich dämmerte es ihm. Die bleichen Kameraden stellte alle Opfer dar, die er selbstpersönlich in den Tod geschickt hatte. Viele namenlose Niemande, die auf dem Schlachtfeld durch Eishagel zerstückelt oder Feuerbälle deformiert worden waren. Aber auch einige bekannte Antlitze. So ist das also, wenn einem in der Wüste ein Spiegel vorgehalten wird. Selkai war traurig. Etwas sehr Schweres ergriff Besitz von seinem Herzen und verdunkelte seinen Geist. Genaugenommen war er
auch nicht mehr wie ein billiger Mörder gewesen. Wer oder was hatte ihm das Recht gegeben, über solche unwirkliche Werte, wie gut oder böse zu entscheiden und selbstherrlich Richter zu spielen. Verzweifelt lies sich der stark gealterte Kuttenträger auf die Knie sinken und streckte die Arme aus. Er schrie voller Verzweiflung in den violetten Himmel:

"Und? Großer Selkai, bist Du zufrieden mit Deinem Lebenswerk. Einen schönen Friedhof hast Du Dir zugelegt!"

Die Zahl der Wittwen und vaterlosen Kinder mußte noch um ein Vielfaches größer sein. Wieder rannen die Tränen, seine depressiven Gefühle schienen ihn zu zerreißen! Schmerzen, unendliche Schmerzen. Zur Salzsäule erstarrt kauerte er da. Plötzlich hinter ihm ein verspäteter Reiter, der mit großem Tempo versuchte, die Kriegsmeute einzuholen. Selkai hörte ihn kommen, aber er war unwillig, sich umzudrehen.

Das scharfe Metall traf ihn hart und grob im Rücken, ungefähr zwischen dem 3. und 4. Wirbel.  Mußte ein Streitkolben gewesen sein. Weich fiel der verschandelte Mensch in den Sand. Noch immer keine Regung in seinem Körper. Nicht mal ein Zucken. Eigentlich müßte er von dem starken Hieb Schmerzen fühlen, aber Fehlanzeige. Das häßliche Gesicht war komplett in den Sand getaucht. Langsam aber sicher füllten sich seine Lungen mit Sand,  die Atmung wurde schwächer ...

Als der Gepeinigte wieder zu sich kam, war es Nacht. Noch immer hier?
Selkai versuchte zu atmen und mußte sofort husten. Dann kotze er erstmal ein wenig Wüstenboden zurück an die Stelle, von der aus er ihn aufgenommen hatte. Natürlich zog auch diese Aktion seine Robe in Mitleidenschaft. Klapprig richtete der einst so stattliche Magiegelehrte sich auf. Dann sprach er mit schwacher, gebrochener Stimme zu sich selbst:

"Und nun, Du Narr? Wohin willst Du gehen?"

Und von irgendwo in seinem Körper kam die gleichgültige Antwort:

"Ist doch egal. Du wirst sowieso niemals ankommen."

Daraufhin fing er an zu lachen. Erst ganz leise und vorsichtig, als wolle er die nächtliche Ruhe der Verdammten nicht stören. Aber das Lachen wurde lauter und lauter. Vom Wahn getrieben richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und stampfte stolzkranken Schrittes los ...
Wie viele Tage und Nächte der Zerbrochene damals tatsächlich in der Wüste zugebracht hat, weiß er nicht mehr. Eines Morgens jedoch erreichte er eine besonders hohe Düne, dessen Besteigung seine ganze Kraft des Tages verzehrte. Oben angekommen rieb er sich die geschwollen Augen. Vor ihm in einiger Entfernung ein Nomadenlager: Zelte, Pferde, ein glimmendes Feuer und Menschen. Erneut stiegen Tränen in Selkais Augen. Sein Blickfeld verschwamm. Ängstlich wischte er sich das Naß aus dem Gesicht. Fast fürchtete er schon, die Fata Morgana wäre nun verschwunden. Aber zu seiner Beruhigung war noch alles da. Der Magier machte sich an den mühsamen Abstieg in Richtung Zivilisation ...

 

 




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